Die Corona-Krise verändert nachhaltig unsere Arbeitswelt. Wie wird diese Entwicklung von der wissenschaftlichen Seite bewertet und welche Erkenntnisse sind für die Praxis bereits vorhanden? Welche Trends zeichnen sich ab? All diese Fragen bewegen momentan zunehmend Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer. Grund genug, um darüber ein Interview mit dem Experten Michael Bartz, seines Zeichens Professor an der IMC FH Krems und langjähriger Kooperationspartner der HMP, zu führen.

Die Corona-Krise hat das Home-Office ja enorm beschleunigt. Was hat die Krise aus Ihrer Sicht bei den Arbeitnehmern in Bezug auf das Thema Home-Office bewirkt?

Michael Bartz: Auf der Arbeitnehmerseite hat es ganz klar den Wunsch verankert, auch nach Corona an mobilen Arbeitsweisen festhalten zu können. Wie auch unsere Studien des letzten Jahres belegen, ist das bei etwa 70 bis 80 % der ArbeitnehmerInnen der Fall. Auch interne Befragungen von Unternehmen decken sich mit dieser Erkenntnis. Diese Zahlen haben für Unternehmen eine große Bedeutung und auch Auswirkung, denn es gibt in diesem Kontext zwei Gruppen von Arbeitgebern: jene, die bereits vor Corona mobiles Arbeiten ermöglicht haben sowie die andere Gruppe, die erst durch die Krise darauf überging, beziehungsweise übergehen musste. So haben vor COVID-19 nur etwa 18 % der Unternehmen mobiles Arbeiten ermöglicht. Während die erste Gruppe das mobile Arbeiten im Zuge der Krise zwangsläufig auf ein höheres Niveau bringen musste, haben die restlichen Unternehmen mobiles Arbeiten durch Corona zuerst „geübt“ und werden erst nach der Krise mehr oder minder auf diese neue Arbeitsform übergehen. Das sind auch die beiden Entwicklungen, die sich der Großteil der Mitarbeiter wünschen: wenn es mobiles Arbeiten vor Corona noch nicht gab, soll es beibehalten werden – gab es das schon, soll es auf einem höheren Niveau intensiver genutzt werden.

Daran gekoppelt ist aber auch die Erkenntnis, dass ein ausschließliches Arbeiten im Home-Office von den ArbeitnehmerInnen nicht gutgeheißen wird. Wir haben das schon in den letzten Jahren mehrfach in Experimenten untersucht. Probanden haben dabei das hundertprozentige Home-Office als unangenehm empfunden und es teilweise sogar mit Begriffen wie Einzel- oder Isolationshaft verbunden. Dieser Effekt tritt so circa nach zwei Wochen ein. Zusammengefasst wünschen sich also 70 bis 80 % der Belegschaft das mobile Arbeiten – aber in einer hybriden Form, ausbalanciert zwischen Home-Office und dem Arbeitsplatz im Büro.

Existieren bei der Akzeptanz des mobilen Arbeitsplatzes auch branchenspezifische Unterschiede?

Michael Bartz: Überhaupt nicht. Büroarbeitsplatz ist Büroarbeitsplatz. Das ist ein sehr interessanter Umstand, den wir schon seit Jahren untersuchen. Dort, wo die Geschäftsführung oder der Vorstand für mobil-flexible Arbeitsweisen offen sind, da wird das auch umgesetzt – von der Holzindustrie bis zum Bankwesen. Es gibt Unterschiede bei den Arbeitnehmern, die eher von zwei Faktoren bestimmt werden: einerseits durch das jeweilige Jobprofil und andererseits durch die Persönlichkeit und Fähigkeit der betreffenden Person, mit der Umstellung auf mobiles Arbeiten umgehen zu können. Aber branchenspezifische Unterschiede gibt es dabei tatsächlich nicht. Es gibt einen kleinen Unterschied im Handel und in den Logistikbereichen, der aber wiederum den Jobprofilen geschuldet ist. Das betrifft vor allem jene Bürojobs, wo man beispielsweise wegen der Lieferpapiere oder dem Warenausgang regelmäßig in die Hallen runtergehen muss.

Gibt es in Firmen Spannungen zwischen Arbeitnehmern in der Produktion, die weniger oder gar keine Möglichkeit haben Home-Office auszuüben und jenen Mitarbeitern im Büro, die Home-Office leichter in Anspruch nehmen können?

Michael Bartz: Diese Probleme entstehen nicht, wenn die Unternehmensführung rechtzeitig dieses Thema der Gleichbehandlung sowie Fairness aufgreift und auch im Produktionsbereich die Möglichkeit nutzt, vermehrt auf Selbststeuerung zu setzen. Konkretes Beispiel: klassischerweise werden Schichtplanungen immer zentral vorgenommen. Es gibt aber heutzutage die Möglichkeit – etwa über Apps – es den Produktionsmitarbeitern zu überlassen, sich selbst einzuteilen. Das funktioniert in der Regel auch bereits sehr gut. Hier geht es eigentlich um das Thema der Autonomie und das Selbstbestimmung in beiden Bereichen gewährt wird – sowohl im Bürobereich als auch im Produktionsbereich. Dieses Thema rund um Blue-Collar und White-Collar ist natürlich auch abhängig von der Unternehmenskultur. Es gibt Unternehmen, die den Ansatz der totalen Fairness vertreten:  solange Mitarbeiter in der Produktion kein Home-Office machen können, soll das im Büro auch nicht passieren. Solche Unternehmen gibt es nach wie vor.

Welche Erkenntnisse aus der Krise ergeben sich für die Arbeitgeberseite?

Michael Bartz: Verschiedenste Studien zeigen, dass circa 60% der Unternehmen bereits sind, auch nach der Corona-Krise am mobilen Arbeiten festzuhalten. Warum ist das so? Zuerst haben die Arbeitgeber  in der Krise die Erkenntnis gewonnen, dass es mit dem Home-Office gut funktioniert. Ein weiterer Treiber für die Unternehmen ist das eigene Image als Arbeitgeber: die Möglichkeit mobil zu arbeiten treibt Job-Attraktivität: etwa 70 % der User auf einer bekannten Jobplattform sehen sich beispielsweise nicht einmal mehr Jobangebote ohne mobile Arbeitsplätze an. Sie klicken zuerst auf den Filter für mobil-flexibles Arbeiten und schauen sich dann erst die Job-Ads an. Das betrifft natürlich eher die junge Gruppe der ArbeitnehmerInnen. Dennoch gilt, wenn es keine Möglichkeit des mobilen Arbeitens als Angebot gibt, zählt man als Arbeitgeber am Arbeitsmarkt bereits zu den Verlierern.

Eine weitere Erkenntnis für die Firmen ist die schnelle Weiterentwicklung im Bereich der Digitalisierung. Unternehmen und ihre MitarbeiterInnen haben während der Krise in ihre digitalen Kompetenzen relativ rasch dazugelernt. Von den Anfängen, wo es vermehrt darum ging, Video-Calls überhaupt durchführen zu können – beispielsweise ob jeder jeden hört – beherrschen die MitarbeiterInnen inzwischen den Umgang mit den Collaboration Tools: sei es nun Videokonferenzen, file sharing oder gemeinsames Arbeiten an Dokumenten. Der Umgang mit dem Thema wurde professioneller: sowohl bei der Zusammenarbeit auf Distanz, der Kommunikation als auch beim Selbstmanagement. Auch die Führungskräfte haben dazu gelernt. Führung auf Distanz bedingt andere Herangehensweisen als im klassischen Büro. Auch hier wurde nach ersten Versuchen viel Neues entdeckt, dass dann gut funktioniert hat. Zusätzlich hat sich die Einstellung gegenüber mobilem Arbeiten geändert. Es gibt nun eine größere Flexibilität und Offenheit im Umgang mit digitalen Werkzeugen. All diese Entwicklungen sind ein großes Asset für die Unternehmen. Um die Belegschaft in normalen Zeiten auf dieses Level zu bringen, hätte das Unsummen für Weiterbildung gekostet und weitaus länger gedauert.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass durch all diese Umstände auch die Krisen-Resilienz der Firmen erhöht wurde. Für die Arbeitgeberseite muss es daher jetzt das Ziel sein, diese Entwicklungssprünge mitzunehmen und nachhaltig im Unternehmen zu verankern.

Können diese Entwicklungssprünge auch zukünftig neue Geschäftschancen für Unternehmen eröffnen?

Michael Bartz: Ja, ganz klar. Dieser neue Mindset und diese neue Offenheit gegenüber Digitalisierung ist auch ein wunderbares Sprungbrett für die Digitalisierung des Geschäftsmodells. Noch nie war die Einstellung der Belegschaft so günstig und positiv gegenüber grundlegenden Veränderungen beim Thema Digitalisierung. Alle haben verstanden, dass zum Beispiel Amazon in der Krise unglaublich viel Geld verdient hat oder es etwa IKEA in der Krise extrem gut erging – und dass diese Entwicklungen ganz stark mit dem hohen Digitalisierungsgrad der Unternehmen zusammenhängen. Das gilt natürlich nicht für alle Branchen. Gastronomiebetriebe oder etwa die Hotellerie sind da in ihren Handlungsmöglichkeiten klarerweise weitaus stärker eingeschränkt. In den Vorstandsetagen und Geschäftsführungen vieler Unternehmen, die zum Beispiel teure Standorte in Innenstadtbereichen betreiben, wird momentan die Frage diskutiert, ob man den bisherigen Ansatz einfach weiterverfolgen oder das Geschäftsmodell um die digitale Komponenten erweitern soll – angefangen von der Customer Journey über die Delivery bis hin zur Produktion.

Arbeitnehmer wie Arbeitgeber wollen also auch nach der Krise langfristig am mobilen Arbeiten festhalten. Was gilt es dabei zu beachten?

Michael Bartz: Hier wissen wir bereits aus sieben Jahren Forschung, dass die Definition von Spielregeln ein zentraler Punkt für erfolgreiches langfristiges mobiles Arbeiten ist. Da die Entwicklung durch Corona auf eine intensivere Nutzung des mobilen Arbeitens hinsteuert, braucht es neue Spielregeln in jenen Unternehmen, in denen es vor der Krise noch kein mobiles Arbeiten gab und adaptierte Spielregeln für jene, die den digitalen Arbeitsplatz bereits davor genutzt haben – und es jetzt noch intensivieren. Für diese Unternehmen ist es entscheidend, jetzt daran zu  arbeiten und nicht erst in ein paar Monaten. Der Back-to-Office-Prozess wird nämlich in den nächsten Wochen beginnen – je nach Entwicklung der Lage, der Auswirkungen der Mutationen und dem Impffortschritt. Aber es ist momentan davon auszugehen, dass das Re-Deployment der Büros zwischen Ostern und Juni einsetzen wird. Daher ist es für die Unternehmensleitungen jetzt an der Zeit, diese organisatorischen Rahmenbedingungen – oder Spielregeln, wie sie inzwischen genannt werden – vorab festzulegen. Diese Festlegung erfolgt finalerweise in schriftlicher Form.

Wie entwickelt man Spielregeln für mobiles Arbeiten?

Michael Bartz: Zuerst muss in einem ersten Schritt ein Entwicklungsteam gebildet werden, bestehend aus fünf bis maximal acht Führungskräften. Wenn es einen Betriebsrat gibt, sollte dieser auch Teil davon sein. Man gibt ihnen dazu ein circa 90-minütiges Briefing, in dem man den Mitgliedern unter anderem auch bereits vorliegende Best Practice-Beispiele vorstellt. Innerhalb von ungefähr zwei Wochen erarbeiten das Team dann einen ersten Entwurf, der dann intern abgestimmt werden kann. Dem Entwicklungsteam obliegt dann auch die Implementierung der Spielregeln (Anm. der Redaktion: siehe dazu auch unseren Blog über “Spielregeln in der neuen Arbeitswelt”). Der Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man sich viele Lernschleifen und Fehler erspart. Es gibt dazu auch einen Leitfaden zur Spielregelentwicklung, der auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit, Familie und Jugend abrufbar ist. (Anm. der Redaktion: Link zum Leitfaden).

Welche Folgen ergeben sich aus diesen Spielregeln für die Führung von Teams und für die Unternehmenskultur?

Michael Bartz: Nach der Entwicklung der Spielregeln ist es wichtig, auch das Thema Führung anzugehen. Wie bereits erwähnt braucht es für mobiles Arbeiten einen anderen Führungsstil – weg vom Führen durch Anwesenheit hin zu Führung durch Zielerreichung. Die moderne Führungskraft wird mehr zu einem Coach werden, der die Mitarbeiter bei der Zielerreichung unterstützt und begleitet. Hier wäre es wichtig, die Best Practices und Erfahrungswerte in diesem Bereich systematisch zu mappen, zu analysieren, zu dokumentieren und – sehr wichtig – unter den Führungskräften zu teilen. Die meisten Betriebe organisieren dazu einen Self-Learning-Prozess, wo Führungskräfte – unter Zuhilfenahme eines externen Moderators oder Coaches – ihr Know-How an andere Führungskräfte weitergeben. Dieser Coach soll sicherstellen, dass diese Best Practices auch herausgefiltert werden, von anderen Führungskräfte übernommen und nachgeahmt werden. Auch eine begleitende Auswertung dieses Prozesses wird dabei empfohlen. Durch diesen Ansatz soll das gesamte Führungsteam in eine Lernkurve kommen. Das ist bei weitem nachhaltiger, als wenn man sich einen externen Trainer ins Haus holt, der allen erzählt, wie Führung heute auszusehen hätte.

Neben dem Führungsstil wird sich aber auch die Unternehmenskultur nachhaltig verändern. In unseren Forschungen haben wir herausgefunden, dass die Corona-Zeit in Unternehmen dadurch geprägt ist, dass viele Mitarbeiter pragmatischer arbeiten und Aufgaben übernehmen, die über ihren klassischen Arbeitsbereich deutlich hinausgehen. Diese neue Kultur in Unternehmen ist also geprägt von der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zuzupacken und mitzuhelfen – wo immer es geht. Auch sind viele komplexe Abläufe durch den neuen Pragmatismus beschleunigt worden. Diese Abläufe, die in normalen Zeiten niemand verändern wollte oder konnte, mussten in der Krise nun verändert und abgekürzt werden. Hier stellt sich momentan die spannende Frage, wie man diesen neuen Pragmatismus, diese Beschleunigung und Bereinigung von Abläufen als prägende Faktoren für eine neue Unternehmenskultur mitnehmen kann.

Alle diese Entwicklungen werden auch einen großen Einfluss auf die Funktion des Büros haben. Wie sieht Ihrer Einschätzung nach das Büro der Zukunft aus?

Michael Bartz: Das ist ein sehr spannendes Thema. Manche Unternehmensleitungen haben schon mal in einer ersten Überschlagsrechnung ihre Bleistifte gespitzt und grob ausgerechnet, dass – wenn man weiter auf das mobile Arbeiten setzt – man so 40 bis 50 % der Büroarbeitsfläche einsparen könnte. Aber diese Betrachtungsweise greift zu kurz, denn es muss dann die Frage beantwortet werden, welche Aufgabe und Funktion das Büro in Zukunft haben wird: Haben die Mitarbeiter nun andere Beweggründe, warum sie nun ins Büro kommen werden? Und diese Frage lässt sich ganz klar mit ja beantworten. Es gibt im Wesentlichen dazu vier Gründe. Erstens gibt es Zusammenarbeitsformate, die Präsenz erfordern. Dazu ein paar Beispiele: Brainstorming-Meetings, Scrum-Meetings im Software-Bereich oder etwa – ganz wichtig – die Betreuung von Firmenkunden. All das benötigt das physische Zusammenkommen. Ein zweiter Punkt ist das Selbstmarketing. Aus 40 Jahren Forschung zu Impression-Management wissen wir: nur wer sich zeigt, macht Karriere. Das wird auch noch nach Corona gelten. Ich rechne da nicht mit einer großen Verschiebung. Drittens wird das Büro in Zukunft weiter eine Rolle spielen, um den wichtigen „Flurfunk“ abzugreifen. Das sind diese Zufallsbegegnungen bei der Kaffeemaschine und am Gang. Eine Entscheidung wird im Unternehmen getroffen, und nur dort erhält man oft die wirklich wichtigen Zusatzinformationen zu Abläufen und Entscheidungsprozessen im Unternehmen. Der vierte Grund betrifft das grundsätzliche menschliche Bedürfnis nach sozialer Interaktion. Dieser Faktor ist wichtig, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln sowie Verbundenheit und Zusammengehörigkeit zu erzeugen. Virtuelle soziale Meetings wie etwa ein virtueller Lunch oder dergleichen reichen da allein nicht aus. Aus diesen Gründen wird das Büro der Zukunft zwar weniger Büroräume benötigen, aber allein schon in Bezug auf das erste Motiv wird es mehr Meetingräume und -flächen brauchen. Die anderen drei Motive wiederum werden mehr Begegnungszonen, Social Areas und Allgemeinflächen erfordern. Damit relativiert sich die erste Überschlagsrechnung wieder und man wird sicher nicht 40 oder 50 % der Büroflächen einfach wegstreichen können. Es mag weniger werden, aber nicht in dieser Größenordnung. Eine rein interne Betrachtung und Abschätzung der Büroraumentwicklung ist hier sicher schwierig und doch am besten mit einem externen Input durchführbar.

Wir bedanken uns sehr für das interessante Gespräch.

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Zur Person:

Prof.(FH) Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Michael Bartz

Professor Department of Business
Institut Internationaler Handel und Nachhaltige Wirtschaft

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